Tag der Russland-Migranten

am 06. November 2008

Menschen mit Russisch als Familiensprache stellen mit rund 3 Millionen gegenwärtig die größte sprachliche Minderheit in Deutschland dar. Grund genug für das Slavische Seminar & Lotman-Institut, dieser Gruppe einen Tag im Rahmen des Russland-Jahres zu widmen.

Am 6. November 2008 konnten wir an unserem Institut eine Reihe von Gästen begrüßen, die die Situation der Russland-Migranten in Vorträgen und Round-Table-Beiträgen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchteten.

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Eröffnet wurde der Reigen von Joachim Finsterbusch (Bezirksregierung Arnsberg), der im Kompetenzzentrum für Integration Unna-Massen tätig ist. Herr Finsterbusch schilderte in seinem Vortrag die Geschichte der Deutschen in Russland, die mit dem Einladungsmanifest von Katharina der Großen 1763 begann. Er betonte, dass das große Leid und die dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen, die die Russlanddeutschen im Gefolge des zweiten Weltkrieges erlitten, den Grund für die von der Bundesregierung eröffnete Möglichkeit der Rück-Einwanderung nach Deutschland bildeten.

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Ipodiakon Nikolaj Thon von der russisch-orthodoxen Maria Obhut-Kirche Düsseldorf schlug in seinem Vortrag zur Geschichte der russischen Migranten in Deutschland ebenfalls einen großen Bogen: Er begann mit der ersten orthodoxen Stätte, im deutschen Sprachraum, die 1655 im damaligen Königsberg eröffnet wurde, und mit 55 russischen „langen Kerlen“ in Berlin, die Peter der Große dem preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. überließ. Mit Ausnahme der jüngsten (und größten) Welle war die russische Migration stets auf das engste mit der Orthodoxie verknüpft; heute leben in Deutschland etwa 200.000 russisch-orthodoxe Migranten.

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Neben den beiden Rednern waren weitere sechs Vertreter verschiedener Institutionen zu Gast, die sich und ihre Organisation im anschließenden Round-table-Gespräch vorstellten und mit den Studierenden und Mitarbeitern der Bochumer Slavistik über die Situation der Russland-Migranten sprachen.

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Besonders intensiv diskutiert wurde der Konflikt zwischen Bewahrung der mitgebrachten Sprache und Kultur und der Integration, die bis zur Assimilation reichen kann.

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Als Vertreter der russischen Samstagsschule Istok besuchte uns Valerij Voskobojnikov. Ziel der Samstagsschule ist die Unterstützung der  Mehrsprachigkeit und Plurikulturalität von Kindern und Jugendlichen.

Die Mehrsprachigkeit unterstützen möchte auch die in Deutschland erscheinende russischsprachige Zeitschrift Partner / Партнер, die ihre Aufgabe besonders darin sieht, einen Beitrag zum Erhalt des Russischen zu leisten. Dies unterstrich unser Gast Vladimir Quindt, der als Geschäftsführer bei der Zeitschrift tätig ist.
Herr Quindt wies darauf hin, dass es in den Verwaltungsorganen des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik (etwa im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF) für eine hohe Bereitschaft zur Unterstützung von Integrationsprojekten gibt, er bedauerte aber, dass diese Hilfe eigentlich zu spät anläuft.

Katharina Bech vertrat in unserem Gespräch die Landmannschaft der Deutschen aus Russland (Ortsgruppe Bochum). Frau Bech schilderte die Arbeit ihrer Organisation, die sich als Kontaktpunkt nicht nur für russlanddeutsche Spätaussiedler versteht und gab Einblicke in ihre umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit, zu der ganz unterschiedliche Bereiche – von Hilfe bei Behördengängen bis zur Organisation von Informationsveranstaltungen in Schulen – gehören. Frau Bech, die bereits vor 35 Jahren nach Deutschland kam, betonte besonders die Notwendigkeit der sprachlichen Anpassung.

Eleonora Faust, die sich als Vorsitzende des Landesverbandes des Jugend- und Studentenrings der Deutschen aus Russland engagiert, möchte mit ihrer Arbeit vor allem zu einem positiven Image der Russlanddeutschen und zur Integration der Jugendlichen beitragen. Sie betonte, dass neben dem Erhalt der mitgebrachten Sprache und Kultur auf der einen Seite auch der Wille zur Integration in Sprache und Kultur des Herkunftslandes auf der anderen Seite wichtig seien. Der Jugend- und Studentenring wurde als Jugendvertretung der Landmannschaft erst im März 2008 gegründet und ist noch auf der Suche nach weiteren aktiven Mitgliedern.

Dr. Boris Lotvin von der jüdischen Gemeinde Bochum – Herne – Hattingen wies darauf hin, dass die jüdische Gemeinde nicht nur eine religiöse Rolle spielt, sondern auch ein soziales und kulturelles Zentrum für Vertreter verschiedener Nationalitäten bildet. So verfügt die Gemeinde beispielsweise über eine große Bibliothek, die von allen Gemeindemitgliedern genutzt werden kann. Innerhalb der jüdischen Gemeinde stellen die Russland-Migranten derzeit 95%.

Inga Sedleckiene, Gemeindeälteste der russisch-orthodoxen St.-Georg-Gemeinde zu Bochum, ehrenamtliche Mitarbeiterin im Gesundheitsprojekt MiMi (mit Migranten für Migranten) und junge Mutter von drei Kindern sieht eine wichtige Funktion der russisch-orthodoxen Kirche darin, russischsprachigen Migranten eine geistige Heimat zu bieten. Frau Sedleckiene, die aus Lettland stammt, unterstrich die Rolle der russischen Sprache und Kultur als gemeinsamen Hintergrund, der die heterogene Gruppe der russischsprachigen Migranten letztlich doch vereint.

Einigkeit bestand bei allen Teilnehmern der Diskussionsrunde darin, dass die Bewahrung der Herkunftskultur mit Respekt vor dem Land der Immigration gepaart sein muss und es zu keiner Parallelgesellschaft kommen darf.
Trotz in individuellen Fällen großer Probleme bei der Integration stimmten alle Gäste auch darin überein, dass die Rückwanderung, über die in den Medien gelegentlich berichtet wird, auf Einzelfälle beschränkt ist und keinesfalls ein Trend zu erkennen ist.

Organisation des Tages: Elena Dieser
Text: Tanja Anstatt